Gut zu wissen
Gebärdensprache lernen: So verstehst du die Handzeichen der Gehörlosen
- Aktualisiert: 17.06.2024
- 11:26 Uhr
- Sven Hasselberg
Für die Gebärdensprache nutzt du nicht nur deine Hände, sondern auch deine Mimik und Körperhaltung. Worauf es ankommt und wie du sie lernen kannst, erfährst du hier. Im Clip: Galileo-Reporter Matthias testet einen Gebärdenhandschuh.
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Das Wichtigste zum Thema Gebärdensprache
Die Gebärdensprache ist die Sprache der Gehörlosen mit eigener Grammatik. In Deutschland gibt es rund 80.000 Gehörlose.
Sie sprechen die Deutsche Gebärdensprache, DGS. Denn wie bei den Lautsprachen gibt es je nach Sprachraum unterschiedliche Gebärdensprachen, wie zum Beispiel auch die amerikanische, ASL.
Außerdem gibt es Dialekte wie Bayerisch. Willst du wissen, wie auch du Gebärdensprache lernen kannst, und worauf du achten musst? Lies weiter.
Gebärdensprache: Die Kultur der Gehörlosen
Oft wird die Gebärdensprache von Hörenden auch Zeichensprache genannt. Das ist falsch. Denn es handelt sich nicht um zufällige Gesten, wie Hörende sie im Gespräch benutzen, oder aus der Situation erfundene Zeichen. Die Gebärdensprache ist eine eigene Sprache mit eigener Grammatik und festgelegten Vokabeln. Sie ist Ausdrucksmittel und fester Bestandteil der Kultur der Gehörlosen. Denn die Gehörlosen verstehen sich als eigene Community mit eigener Kultur.
Früher wurden Gehörlose mit quälenden Methoden oft gezwungen, Lautsprache zu erlernen. Der Kampf, Gebärdensprache nutzen und lehren zu dürfen, ist in vielen Ländern noch nicht vorbei. Auch in Deutschland wurde sie erst 2002 offiziell als eigene Sprache anerkannt. Sie gilt aber nicht als Amtssprache. Zwar werden inzwischen auch Pressekonferenzen von Politikern manchmal simultan gedolmetscht, doch es ist nicht die Regel, dass Untertitel oder Dolmetscher bei Fernsehprogrammen, im Theater oder Kino eingesetzt werden. Das erschwert die Teilhabe. Wie jede Kultur haben auch die Gehörlosen eigene Theaterstücke, Lieder, Poesie oder Comedy in ihrer Sprache. In der folgenden Liste findest du weitere Info und das Video gibt Dir einen lustigen Einblick.
Gebärdensprache: So drückst du dich richtig aus
📖 Grammatik: Die Gebärdensprache besitzt eine eigene Grammatik. Artikel werden zum Beispiel nicht übersetzt und das Verb steht am Satzende. Die Reihenfolge ist Subjekt, Objekt, Verb. Also: "Ich Eis essen".
🤔 Mimik: Die Mimik hilft nicht nur die Emotion auszudrücken, sondern zeigt auch, ob ein Satz als Ausruf, Feststellung oder Frage gemeint ist. Letztere wird dann durch einen fragenden Gesichtsausdruck unterstrichen.
👄 Absehen vom Mund: Je nach Individuum und Situation können Gehörlose im Schnitt 30 Prozent der Lautsprache vom Mund absehen. Wichtig in der Gebärdensprache ist aber auch das Mundbild. Es begleitet oft durch tonloses Mitsprechen viele Gebärden - überwiegend Hauptwörter.
💪 Körpereinsatz: Oft werden Arme, Schultern und zumindest der Oberkörper eingesetzt, um die Gebärdensprache lebendig zu unterstreichen. Der Körper hilft Emotionen, aber auch Richtungen auszudrücken.
🗣 Schreien und Flüstern: Bei Hörenden hebt oder senkt sich die Stimme, damit jeder es hört oder niemand. Bei Gehörlosen bedeutet das, jeder muss es sehen oder niemand soll es sehen. Also werden beim Schreien Gebärden groß und mit viel Einsatz gezeigt. Beim Flüstern sind die Gebärden klein und oft durch den Körper abgeschirmt.
🤟 Internationale Gebärden, IS: International Sign wird meist für einfache Kommunikation zwischen Gehörlosen verschiedener Nationen angewandt. Deshalb nennt man es auch International Sign, nicht internationale Gebärdensprache. IS hat auch keine eigene Grammatik und ist sehr von der amerikanischen Gebärdensprache ASL beeinflusst.
Stand-up Comedy in Gebärdensprache
Hier siehst du einen Auszug aus dem Programm des gehörlosen Schauspielers und Comedians Okan Seese.
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Gebärdensprache: So kannst du sie lernen
👨 Stephan Straßer leitet die Gebärdensprachschule des Gehörlosenverbands München und Umland. Seit 15 Jahren ist der Gehörlose Gebärdensprachdozent.
❓ Wo liegen die Schwierigkeiten für Hörende?
❗ Die Deutsche Gebärdensprache ist eine natürliche, visuelle und vollwertige Sprache. Sie ermöglicht es, Sachverhalte, Gedanken und Emotionen zu vermitteln. Hörende sind die visuelle Wahrnehmung nicht gewohnt. Sie müssen sich Texte bildlich vorstellen, um selbst zu gebärden und auch Gebärden verstehen zu können. Außerdem müssen sie Mimik und Gestik einbringen. Hörende brauchen einen Einblick in die Gehörlosenkultur und eine Offenheit ihr gegenüber, um das Gefühl für die Sprache zu bekommen.
❓ Was ist das Schöne an der Gebärdensprache?
❗ Die Gebärdensprache ist für mich die schönste Sprache der Welt. Sie ist eine einzigartige Sprache in 3D und nicht vergleichbar mit der gesprochenen Sprache - auch was den Satzbau betrifft.
❓ Wo können Hörende die Gebärdensprache lernen?
❗ Überall in Deutschland gibt es Gebärdensprachschulen. Manche sind privat, andere, wie bei uns, an einen Gehörlosenverband angeschlossen. Auch die VHS bietet Kurse an. Man findet die Adressen im Internet.
❓ Wie lange dauert es, bis Hörende die Gebärdensprache beherrschen?
❗ Wer nur einmal pro Woche einen Kurs besucht, braucht viele Jahre. Wer mit gehörlosen Kolleg:innen zusammenarbeitet oder gehörlose Kinder in Schulen betreut, hat natürlich Vorteile. Deshalb ist es empfehlenswert, mit dem Lernen der Sprache auch viel Kontakt zu Gehörlosen zu pflegen.
❓ Wie funktioniert eine Ausbildung für Dolmetscher:innen?
❗ Verschiedene Hochschulen bieten ein Vollzeitstudium an. Beim Studium kann man auch Gebärden für bestimmte Berufe oder Fachausdrücke lernen. Studierende werden auf unterschiedliche Dolmetsch-Situationen vorbereitet.
So geht das Finger-Alphabet
Eine kurze Geschichte der Gebärdensprache
Einfache Gebärdensprachen gab es wohl schon seit Menschengedenken. Aus der Antike sind Quellen überliefert, wie einzelne Gehörlose kommunizierten. Ab dem 16. Jahrhundert nahmen verschiedene Gebärdensprachen weltweit an Struktur zu, vereinzelte gehörlose Schülerinnen wurden gezielter unterrichtet und es gab Ansätze einer speziellen Pädagogik. 1771 gründete Abbé Charles-Michel de l´Epée in Paris die wohl weltweit erste Schule für Taube.
Ende des 17. Jahrhunderts bis zum 20. Jahrhundert wies die amerikanische Insel Marthas Vinyard eine große Gehörlosencommunity auf. Sie wurde zu einem Zentrum der Gehörlosenkultur und Vorbild für viele andere Länder. In Washington wurde 1857 die Gehörlosenschule gegründet, die erst ein College wurde, bis der Kongress sie 1986 als Gallaudet University vollständig anerkannte. Sie war damit die erste Gehörlosenuniversität der Welt. Professor William Stokoe bewies mit seinen Studien hier bereits 1960, dass Gebärdensprachen vollwertige Sprachen sind. Er gilt als Vater der modernen Gebärdensprachforschung.
In Europa beschloss 1880 der Mailänder Kongress eine Kehrtwende und verbannte international die Gebärdensprache wieder aus den Klassenzimmern. Die "Oralisten", die verlangten, dass die Kinder Lautsprache lernten, hatten vorerst wieder gewonnen. Im Dritten Reich wurden Gehörlose sogar gezielt ermordet. Erst 1975 wurde die Deutsche Gebärdensprache in Hamburg richtig erforscht. Erst 2002 wurde sie in Deutschland als eigene Sprache anerkannt.
Häufige Fragen zur Gebärdensprache
Hallo ist ein Winken mit der Hand. Die Lippen formen das Wort "Hallo".
Das kommt viel auf Talent und Situation an. Es ist wie bei jeder anderen Sprache. Man muss viel üben und Kontakt mit Native-Speakern haben, in diesem Falle Gehörlosen.
Nein. Es gibt wie bei den Lautsprachen unterschiedliche Gebärdensprachen, je nach Land oder Region. Jede Sprache hat eine eigene Grammatik. Beispielsweise ist die Lautsprache in Deutschland und Österreich ähnlich, fast gleich. Die Gebärdensprachen unterscheiden sich.
Die Fingerspitzen der flachen Hand liegen mit der Innenseite am Kinn an. Hand und Unterarm klappen gerade weg vom Kinn nach vorne. Die Lippen formen das Wort "Danke".
"Taub" wird von einigen Gehörlosen sogar sehr gerne als Empowerment der Community benutzt – meist in der englischen Form "Deaf". Sehr veraltet und unkorrekt ist der Begriff "Taubstumm". Er wird nicht mehr verwendet. Denn die Gehörlosen sind keineswegs stumm.