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Politik und Religion

Kalifat: Was ist das eigentlich?

  • Aktualisiert: 02.05.2024
  • 04:37 Uhr
  • Sven Hasselberg
Teilnehmende einer islamistischen Demonstration postulieren auf einem Plakat das "Kalifat ist die Lösung". Auch Redner auf der Kundgebung rufen das Kalifat als Ziel aller islamischen Staaten aus.
Teilnehmende einer islamistischen Demonstration postulieren auf einem Plakat das "Kalifat ist die Lösung". Auch Redner auf der Kundgebung rufen das Kalifat als Ziel aller islamischen Staaten aus. © Axel Heimken/dpa

Ein Kalifat ist ein politisches und religiöses System, das in der islamischen Geschichte eine große Bedeutung hat. Zuletzt wurde Ende April bei einer islamistischen Demonstration das Kalifat als Ziel für islamische Staaten ausgegeben.  Aber welche Rolle spielt die Jahrhunderte alte islamische Regierungsform heute noch? 

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Kalifat: Das Wichtigste in Kürze

  • Als Kalifat wird die Herrschaft, das Amt oder das Reich des Kalifen bezeichnet.

  • Ein Kalif ist ein islamischer Herrscher, der als Nachfolger des Propheten Mohammed gilt. Er ist somit dessen Vertreter und damit in manchen Auslegungen auch ein Vertreter Gottes auf Erden. 

  • Es gab immer wieder Streitigkeiten verschiedener Clans oder politischer Lager, wer den rechtmäßigen Kalifen stellen dürfe. Prophet Mohammed hatte keinen Nachfolger und auch keinen Modus zu dessen Wahl bestimmt.

  • In den vergangenen Jahren taucht der Begriff auch in Verbindung mit Islamisten und Terrorgruppen auf, die ein Kalifat fordern und dessen Wiedererrichtung in bestimmten Gebieten teilweise auch durch Kämpfe verfolgen. 

  • Ende April erntete eine islamistische Demonstration in Hamburg viel Kritik. Dort wurde von Protestierenden das "Kalifat als Lösung" postuliert. Dadurch rückte der Begriff wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. 

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Was ist ein Kalifat und welche Bedeutung hat es?

Als der Prophet Mohammed 632 nach Christus starb, sollte ein Nachfolger gefunden werden, der die "umma" also die Gemeinschaft aller Muslime weltweit sowohl politisch wie auch geistlich führte. Dabei ging es nicht um das Fortführen des Prophetentums, denn das Wirken als Prophet und die damit verbundenen Offenbarungen waren Mohammed vorbehalten.

Es ging eher darum, dass die Gemeinschaft eines politischen, administrativen, militärischen und religiösen sowie zeremoniellen Anführers bedurfte. In gesetzlichen Fragen war dieser Kalif an die Scharia gebunden und richtete sich danach. Mehr zur Scharia erfährst du weiter unten.

Allerdings zerstritten sich die verschiedenen Clans und politischen und religiösen Lager schnell darüber, wie dieser Kalif gefunden werden sollte und wer berechtigt für das Amt war. Aus Streitfragen um das Kalifat gehen auch die noch heute existierenden verschiedenen islamischen Glaubensgruppierungen der Sunniten und Schiiten hervor.

Es gab auch verschiedene Ansichten zur Bestimmung eines Kalifen. Theoretisch wird dieser gewählt oder per Akklamation, also Zustimmung durch Beifall in einer Versammlung, berufen. Einige Auslegungen sahen darin jedoch ein erbliches Amt oder die Möglichkeit, dass ein Kalif seinen Nachfolger bestimmen dürfe. Da der Kalif über alle Muslime weltweit herrschen sollte, gab es in der Geschichte zeitgleich manchmal auch verschiedene Gegen-Kalifen, die sich um die Macht stritten.

Selbst die offiziell bestätigten Kalifen verloren schnell an Macht. Bereits im 10. Jahrhundert raubten lokale Gouverneure und Militärführer ihnen die weltliche Herrschaft. Je blühender und größer das Reich wurde, desto schwieriger war es von einer Person zu kontrollieren. Ausgehend von der arabischen Halbinsel erstreckte es sich im Lauf der Geschichten über Asien bis in die Türkei, Pakistans und hoch nach Usbekistan, über Nordafrika und Teile Spaniens und Portugals. Der Sitz der Kalifen wechselte.

Schließlich war der Kalif eher ein religiöser Herrscher, der in geistlichen oder aber rechtlichen Fragen bestimmte, während die weltliche Macht vom neu eingeführten Sultan und auch von Emiren übernommen wurde. Das Kalifat ist also eine historische Herrschaftsform, die heute keine internationale Bedeutung mehr hat.

Historisches Kalifat in Europa: Die Stadtburg Alhambra im spanischen Granada ist Zeugnis der maurischen Herrschaft in Andalusien. Von 929 bis 1031 erstreckte sich das Kalifat von Cordoba über weite Teile Spaniens und Portugals. 
Historisches Kalifat in Europa: Die Stadtburg Alhambra im spanischen Granada ist Zeugnis der maurischen Herrschaft in Andalusien. Von 929 bis 1031 erstreckte sich das Kalifat von Cordoba über weite Teile Spaniens und Portugals. © picture-alliance / Rolf Wilms

Was ist die Scharia?

Die Scharia ist die Gesamtheit der islamischen Gesetze, die als Quellen den Koran und die Sunna heranziehen. Die Sunna ist, vereinfacht gesagt, eine Überlieferung verschiedener Handlungen und Aussprüche des Propheten.

Es gibt aber kein gesondertes Gesetzbuch, in dem die Scharia nun klar und eindeutig zusammengefasst ist. Da sowohl Koran als auch Sunna Jahrhunderte alt sind, ist auch ihre Sprache eine andere, die Metaphern und die damalige Lebenssituation unterscheiden sich von den heutigen. Deshalb gibt es viel Interpretations-Spielraum.

Die Scharia beinhaltet auch härteste Strafen für bestimmte Verbrechen wie Peitschenhiebe oder die Steinigung bis zum Tod. Allerdings ist die Auslegung der Gesetze beziehungsweise der Vergehen oder anzuwendenden Strafe je nach rechtlicher Schule auch innerhalb des Islams durchaus verschieden. 

Gerade islamistische Strömungen, lehnen heutzutage jeden Zusatz der Scharia ab, und wollen diese mit aller Härte ausgelegt sehen. Für sie gilt einzig und allein die Scharia.

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Wo gibt es heute Kalifate?

Heute gibt es kein Kalifat im historischen Sinne mehr. Der letzte offizielle Kalif mit Sitz in Istanbul wurde 1924 im Zuge der Gründung der modernen türkischen Republik durch Kemal Atatürk abgesetzt.

Es gab danach Bestrebungen verschiedener Könige, unterschiedlicher Nationalstaaten, sich zum Kalifen auszurufen. Doch das misslang. 1926 wurde sogar ein internationaler Kalifats-Kongress in Ägypten veranstaltet. Doch auch hier konnte keine Einigung erzielt werden, wie ein Kalif in einer Welt, bestehend aus Nationalstaaten, über Grenzen hinweg herrschen sollte - und wer das Amt übernehmen dürfe.

Seitdem tauchten lokal begrenzte Kalifen und Kalifate in Afrika und Asien auf, die aber nur von den islamischen Gemeinschaften anerkannt wurden, die sie ausriefen.

2014 rief die Terrorgruppe ISIS ein Kalifat in den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und Syrien aus. Allerdings wurde auch dieses von der muslimischen Welt nicht anerkannt. Den das hätte ja bedeutet, dass der Kalif über die weltweite Gemeinschaft der Muslime herrschen hätte dürfen. Mehr zu den aktuellen Forderungen islamistischer Gruppen erfährst du unten.

Zerstörung: Die islamistische Terrorgruppe ISIS rief 2014 in der Al-Nuri Moschee im irakischen Mossul das Kalifat aus. Dieses Foto von 2017 zeigt, dass die Macht-Ideologie von ISIS die Stadt samt der Moschee nach monatelangen Kämpfen in Schutt und Asche gelegt hat.
Zerstörung: Die islamistische Terrorgruppe ISIS rief 2014 in der Al-Nuri Moschee im irakischen Mossul das Kalifat aus. Dieses Foto von 2017 zeigt, dass die Macht-Ideologie von ISIS die Stadt samt der Moschee nach monatelangen Kämpfen in Schutt und Asche gelegt hat. © picture alliance / Oliver Weiken/dpa

Wer ruft heute nach einem Kalifat?

Erst im November 2023 kam es in Deutschland bei Demonstrationen vermehrt zu Rufen nach der Wiedererrichtung eines Kalifats. Diese machten besonders Schlagzeilen in Verbindung mit verschiedenen Protesten gegen den Militär-Einsatz Israels im Gazastreifen.

Dabei ist zu erwähnen, dass nicht jede Demonstration, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzt, ein Kalifat fordert. Vielmehr nahmen einige antisemitische und islamistische Kräfte, indem sie mit der Forderung nach einem Kalifat und den damit verbundenen antidemokratischen Parolen, den Nahostkonflikt zum Anlass, um ihre Ideologie zu verbreiten. Dabei verurteilten sie nicht den abscheulichen Überfall der Hamas vom 7. Oktober auf Israel. Hingegen forderten sie ein Kalifat auf israelischem Boden. In diesen Fällen nutzen sie die Demonstrationen, um ihre israelfeindliche Gesinnung zu propagieren.

Weltweit haben verschiedene Terrorgruppen, wie der sogenannte Islamische Staat, früher ISIS, ihren Wunsch nach einem Kalifat nicht aufgeben. Dabei tritt das Kalifat in einer Art historischen Verklärung als erstarkte religiöse wie weltliche islamische Herrschaft über verschiedene Regionen auf. In der Praxis hat die Herrschaft des IS über die Regionen im Irak und Syrien nichts als Zerstörung und Leid mit sich gebracht.

Es ist zu betonen, dass diese Forderungen aber von einer Minderheit erhoben werden. Die Mehrheit der Muslime weltweit, sowie deren Interessen-Vertretungen und auch die Mehrheit der Regierungen in muslimischen Staaten fordern kein Kalifat.

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Häufige Fragen zum Kalifat

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