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Gesellschaft

Kastensystem in Indien: So funktioniert die strenge Rangordnung

  • Veröffentlicht: 31.01.2024
  • 05:00 Uhr
  • Sven Hasselberg
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© picture alliance / imageBROKER/Frank Bienewald

Das indische Kastensystem teilt alle Bewohner:innen des Landes je nach Herkunft in Gruppen ein. Dabei ist dieses System seit vielen Jahrzehnten offiziell verboten. Trotzdem wird es nach wie vor angewandt. Warum das so ist und was die Hintergründe und Folgen des Kastenwesens sind, erfährst du hier. 

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Kastenwesen in Indien: Das Wichtigste in Kürze

  • Das Kastensystem in Indien entspricht einer sozialen Hierarchie. Die Menschen werden in ihre Kaste hineingeboren. Es gibt vier Hauptkasten. Die Hierarchie des Kastensystems ist diskriminierend.

  • Dazu gibt es noch die Unberührbaren und rund 2.000 Unterkasten beziehungsweise soziale Gruppen innerhalb der Kasten.

  • Die Zugehörigkeit einer Kaste regelt unter anderem die Berufswahl, aber auch die Heirat oder gar den sozialen Umgang in Alltags-Situationen und das gesellschaftliche Ansehen. Mehr dazu erfährst du unten.

  • Woher genau das System stammt, ist unklar. Allerdings bezieht sich die Religion des Hinduismus, der über 80 Prozent der Inder:innen angehören, sehr stark auf diese Rangordnung. 

  • Offiziell schreibt die Verfassung seit 1949 vor, dass niemand aufgrund der Kasten-Zugehörigkeit diskriminiert werden darf. In der Realität sieht das aber oft noch anders aus. 

Kastenwesen: So wichtig ist der Hinduismus in Indien

Hinduismus: Entstehung, Götter, Wiedergeburt

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Was ist das Kastensystem in Indien und wie ist es entstanden?

Der Ursprung des Kastensystems ist nicht genau belegt. Es gibt verschiedene Theorien. Eine besagt, dass die Arbeitsteilung am Anfang stand, die Berufsgruppen wie Priester, Bauern, Krieger sich in ihren Kasten organisierten, vergleichbar etwa mit mittelalterlichen Zünften oder gar von Landesherren eingeteilt wurden.

Eine andere Theorie lautet, dass einwandernde Völker die lokale Bevölkerung unterwarfen und sich an die Spitze setzten. Laut der mythologischen Erklärung entsprangen die vier Hauptkasten dem Ur-Menschen Purusha. Je nach Platz in der Hierarchie entsprang die oberste Kaste dem Mund und die unterste Kaste den Füßen.

Wer an dem Kastensystem festhält, ist der Überzeugung, dass Menschen in die Kaste hineingeboren werden, der ihre Eltern entstammen. Noch heute heiraten sie auch meist innerhalb ihrer eigenen Kaste. Jede Kaste umfasst verschiedene Berufsgruppen, und streng genommen dürfen die Menschen, die sich an dieses System halten, beispielsweise auch nur innerhalb ihrer Kaste miteinander essen.

Gerade die Abgrenzung der oberen Kasten nach unten und das "Unter-sich-bleiben" benachteiligt die unteren Kasten sozial und ökonomisch. Ursprünglich soll in den Kasten auch eine Art Versorgungs-Gemeinschaft gesehen worden sein. Kranke, Alte oder Benachteiligte wurden innerhalb ihrer Kaste von der eigenen Kaste versorgt und getragen. Allerdings gibt es auch innerhalb der Kasten wiederum Untergruppierungen und eine eigene Hierarchie. Willst du mehr darüber wissen? Lies weiter.

Fest steht, dass der Hinduismus sich sehr auf das Kastensystem bezieht. Hier geht es besonders auch um eine spirituelle Reinheit. Das Wort Kaste stammt ursprünglich aus dem Portugiesischen. "Casto" bedeutete so viel wie rein oder keusch. Die ehemaligen Kolonialherren, die seit 1505 Gebiete in Indien besetzten, beschrieben damit diese gesellschaftliche Rangordnung, die Menschen in reinere und unreinere Kasten bis hin zu den sogenannten "Unberührbaren" einteilt. 

Die Pyramide des Kastensystems

So ist der Aufbau des Kastensystems in Indien
So ist der Aufbau des Kastensystems in Indien© Galileo
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Die vier indischen Hauptkasten: Varna und ihre Jatis

Das Kastensystem teilt sich in vier Hauptkasten, die Varnas. Diese sind auch jeweils einer Farbe zugeordnet. Varna bedeutet ursprünglich Farbe. Diese Farben stehen für bestimmte wertende Eigenschaften, die den Kasten zugeordnet werden, also eine Art spirituelle Farbe. Die oberen drei Kasten dürfen von der vierten, den "Shudras", Dienste verlangen. Den Oberen ist auch jeweils ein spezielles Wissen zugänglich, sie dürfen an bestimmten religiösen Riten teilnehmen. Mehr zu den "Unberührbaren", die nicht zu den Hauptkasten zählen, erfährst Du unten.

Neben den Kasten gibt es die Jatis. Das sind soziale Gruppen, wie einzelne Berufsgruppen. Oft werden sie auch als Unterkasten bezeichnet, die sich wiederum innerhalb einer Hauptkaste hierarchisch unterscheiden. Die vier Hauptasten, Varnas, setzen sich wie folgt zusammen.

1.     Die Brahmanen bilden die oberste Kaste. Sie sind hoch angesehen und Priester oder Gelehrte. Ihre Farbe ist weiß. Sie steht für die Reinheit, Klarheit und die Erleuchtung.

2.     Die Kshatriyas setzen sich aus Kriegern, hohen Beamt:innen und Fürst:innen zusammen. Ihre Farbe ist Rot. Sie steht für Leidenschaft und Kraft.

3.     Die Vaishiyas sind Bauern, Bäuerinnen, einige Handwerker:innen und Kaufleute. Ihnen wird Gelb zugeordnet. Diese Bedeutung ist nicht eindeutig. Theorien verweisen aber auf das gute Gelingen beim Ackerbau hin.

4.     Die Shudras als unterste Stufe der vier Varnas sind niedere Handwerker:innen, Knechte, Mägde, Diener:innen und Tagelöhner:innen. Ihre Farbe ist braun. Das wird aber schon äußerst diskriminierend mit Faulheit, Trägheit und Lethargie gleichgesetzt.

Die Unberührbaren: Strenge Regeln für Dalits

Auf der untersten Stufe: Im Ganges gehen Wäscher ihrer Arbeit nach. Der Beruf wird im Kastensystem als „unrein“ angesehen. Die Wäscher gehören daher zu den Dalits, den sogenannten „Unberührbaren“.
Auf der untersten Stufe: Im Ganges gehen Wäscher ihrer Arbeit nach. Der Beruf wird im Kastensystem als „unrein“ angesehen. Die Wäscher gehören daher zu den Dalits, den sogenannten „Unberührbaren“.© picture alliance / imageBROKER/Frank Bienwewald

Die Dalits, was so viel wie "Unterdrückte" oder "Getretene" bedeutet, sind diejenigen, die von den oberen Kasten als "Unberührbare" angesehen werden. Sie dürfen im wahrsten Sinne des Wortes laut der Lehre nicht berührt werden. Geschieht dies trotzdem, müssen sich Mitglieder einer oberen Kaste eigentlich komplizierten Reinigungsritualen unterziehen.

Einige bezeichnen die Dalits als fünfte Kaste. Andere bezeichnen sie als kastenlos und außerhalb des Systems stehend. Früher wurden sie auch als Paria bezeichnet. Mahatma Gandhi prägte den Begriff Harijans, was so viel wie "Kinder Gottes" bedeutet. 

"Unberührbar" stammt daher, dass die Dalits traditionell Berufe ausüben, die als unrein betrachtet wurden und werden, wie die Müllentsorgung, die Wäscherei oder das Abdecken von Tieren oder das Gerben. Noch heute leben die meisten Dalits in großer Armut. Es gibt verschiedene Angaben über ihre Anzahl. Sie reichen von 160 Millionen bis 240 Millionen Menschen. Das stammt wohl daher, dass bei Volkszählungen die Kastenzugehörigkeit nicht mehr abgefragt wird.

Gerade in ländlichen Gebieten, wo das Kastensystem noch eine große Rolle spielt, sind sie zahlreichen Beschränkungen unterworfen und werden diskriminiert. Sie müssen meist in eigenen Siedlungen leben, dürfen manchmal keine Tempel betreten oder Brunnen benutzen. Oft sind sie sogar Opfer körperlicher Gewalt bis hin zum Mord. Immer wieder protestieren die Dalits daher für ihre Rechte.

Demonstration: Das Foto zeigt wie hunderte Dalits 2016 in Ahmadabad auf die Straße gehen, um ihre Rechte einzufordern. Auslöser war die Gewalttat an vier Dalit-Männern, die von Angehörigen anderer Kasten brutal zusammengeschlagen wurden.
Demonstration: Das Foto zeigt wie hunderte Dalits 2016 in Ahmadabad auf die Straße gehen, um ihre Rechte einzufordern. Auslöser war die Gewalttat an vier Dalit-Männern, die von Angehörigen anderer Kasten brutal zusammengeschlagen wurden.© picture alliance / AP Photo/wsantanaj
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Welche Folgen hat die Zugehörigkeit zu einer Kaste?

Das System beruht auf drei Säulen. Sowie der Einteilung in rein und unrein. Die Drei Säulen betreffen folgende Lebensbereiche.

👫 Partnerwahl: Mit dieser Separation wird bewirkt, dass die Angehörigen einer Kaste unter sich bleiben. Trotz der Aufweichung des Kastensystems heiraten immer noch viele Inder:innen innerhalb ihrer Kasten. Auch wenn es sich nicht um arrangierte Ehen handelt oder neuere Methoden der Partnerwahl, wie das Online-Dating, sich verbreiten. Historisch gesehen bleibt durch diese Heirat innerhalb der Kaste, der Endogamie, auch das Wissen einer Kaste vor Außenstehenden geschützt.

🧱 Arbeitsteilung: Die Berufswahl ist charakteristisch für das Kastensystem. Laut der Überlieferung gehören bestimmte Berufsgruppen zu einer bestimmten Kaste. Das bedeutet, dass Angehörigen einer Kaste auch nur bestimmte Berufe offenstehen. Heutzutage ist dies auch durch das Entstehen neuer Berufe etwas aufgeweicht. Allerdings gibt es immer noch Verfechterinnen des Systems, die sogar versuchen, die neuen Berufe den ursprünglichen Kasten zuzuordnen.

Hierarchie: Das Ansehen einer Person im gesellschaftlichen Gefüge hängt im Kastensystem extrem davon ab, ob sie den oberen Kasten angehört und als rein angesehen wird. Auch zwischen den vier Varnas gibt es einen Unterscheid des Ansehens, und auch innerhalb einer einzelnen Kaste existieren Unterschiede im Ansehen, je nachdem welcher Unterkaste eine Person wiederum angehört. Die Dalits, die als unrein gelten, haben laut dieser Weltanschauung gar kein Ansehen.

Wie entkommt man dem Kastensystem? Die Hoffnung auf Wiedergeburt oder die Moderne

Religiös gesehen bietet der Hinduismus die Chance auf einen Wechsel der Kaste nur in einem anderen Leben. Hindus glauben an die Wiedergeburt. Diese ist stark vom Karma abhängig. Alle guten wie schlechten Taten werden auf einer Art Karma-Konto gegengerechnet. Wenn man sich besonders vorbildlich verhält, lockt nach der Wiedergeburt ein besseres Leben – zum Beispiel in einer höheren Kaste. Verhält ein Mensch sich jedoch hauptsächlich schlecht, kann er im nächsten Leben einen Abstieg in eine untere Kaste befürchten oder gar als Tier oder Pflanze wiedergeboren werden.

Weltlich gesehen gibt es heute besonders in den Städten eine Durchlässigkeit des Kastensystems. So gibt es in indischen Behörden oder Staatsämtern zum Beispiel eine bestimmte Quote, die besagt, dass Mandate oder Stellungen an Dalits, also die sogenannten Unberührbaren gehen müssen. Das gilt auch für Plätze an Universitäten und sogar im Parlament. Auch gibt es bestimmte staatliche Hilfsprogramme oder Unterstützungen, die an die Kasten-Zugehörigkeit gebunden sind.

Mittlerweile haben es sogar schon zwei Dalits geschafft, indische Präsidenten zu werden: Kocherli Raman Narayanan (1997-2002) und Ram Nath Kovind (2017-2022). Doch diese Erfolgsgeschichten bleiben selten.

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Häufige Fragen zum Kastenwesen in Indien

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