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Handelsbilanzen

Chinas Industrie wächst das achte Jahr in Folge, deutsche Exporte sinken

  • Aktualisiert: 18.06.2025
  • 05:31 Uhr
  • Michael Reimers
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© Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa

Die deutsche Industrie hinkt ihrer erstarkten Konkurrenz aus China immer stärker hinterher. Während die chinesischen Exporte Jahr um Jahr steigen, sanken die deutschen Ausfuhren erneut.

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Die deutsche Industrie steht im internationalen Wettbewerb mit China immer schlechter da. Wie das Statistische Bundesamt ermittelte, sind die deutschen Exporte 2024 um 1,7 Prozent auf rund 1,65 Billionen Euro gesunken. Hingegen legten die chinesischen Ausfuhren um 7,1 Prozent auf mehr als drei Billionen Euro zu (25,4 Billionen Yuan), meldet die chinesische Regierung. Der Vergleich der Handelsbilanzen zeigt nach Einschätzung von Ökonom:innen und Fachleuten, wie gefährlich die Preiskämpfe chinesischer Firmen auf ihrem Heimatmarkt und deren Überkapazitäten für die deutsche Industrie sind.

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Die ernüchternden Zahlen für Deutschland sind kein einmaliger Ausreißer. Während Peking das achte Jahr in Folge ein Exportwachstum verkündet, gab es in Deutschland bereits 2023 einen deutlichen Rückgang.

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Hohe Energiepreise schwächen Wirtschaftsstandort Deutschland

"Die chinesischen Wettbewerber haben immer weiter aufgeholt und sind zunehmend in Produktbereichen und Industriesegmenten aktiv, in denen die deutsche Industrie traditionell sehr gut aufgestellt war", sagt Philipp Böing, Ökonom und Professor für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China, der an der Goethe-Universität Frankfurt und dem ZEW Mannheim lehrt. Insbesondere in Bereichen der Digitalisierung und der generativen künstlichen Intelligenz seien chinesische Firmen "teilweise schon über die technologische Leistungsfähigkeit deutscher Wettbewerber hinausgeklettert".

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Hingegen sei in Deutschland die Industrieproduktion bereits seit zehn Jahren rückläufig, konstatiert Jens Burchardt, Industriefachmann und Partner bei der internationalen Unternehmensberatung BCG. Die Hauptursache sei die im internationalen Vergleich teure Energie. "Das Problem der höheren Energiepreise wird absehbar nicht verschwinden, weil diese sich hierzulande auf einem Niveau einpendeln, das deutlich über dem anderer Länder liegt", so Burchardt.

Gefahren für die deutsche Industrie sieht Burchardt in erster Linie für energieintensive Branchen wie die Grundstoffchemie und den Automobilsektor. "Die Elektromobilität wird bereits Anfang der 2030er mehr als die Hälfte des Weltmarkts ausmachen. Deutsche Hersteller werden nur dann ihre aktuelle Rolle erhalten können, wenn sie bei elektrischen Antrieben eine ähnlich große Rolle spielen wie traditionell bei Verbrennern." Deutsche Unternehmen in den Bereichen Maschinenbau und die Elektroindustrie betreffe die wachsende chinesische Konkurrenz etwas weniger, "aber trotzdem materiell", so die Einschätzung von BCG.

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China auf dem Weg zur führenden Technologie-Nation

An zwei Beispielen lässt sich der Deutschen Presse-Agentur zufolge ablesen, wie sehr sich die Welt für die deutsche Industrie verändert hat: Waren 2014 auf der Hannover Messe 500 chinesische Aussteller:innen vertreten, kamen im vergangenen Jahr 1.145. Lieferte der VW-Konzern 2018 weltweit noch 10,1 Millionen Pkw aus, waren es 2024 nur noch 8,6 Millionen: ein Rückgang von fast 15 Prozent.

Als Hauptursache für den Absatzeinbruch von VW gilt der Misserfolg in China: Dorthin lieferte der Wolfsburger Konzern fast 1,3 Millionen Pkw weniger aus als sechs Jahre zuvor, obwohl der chinesische Automarkt in der Zwischenzeit größer und nicht kleiner geworden ist. Die dortigen E-Auto-Hersteller haben die Deutschen - nicht nur Volkswagen - weit hinter sich gelassen.

"Bis zum hundertjährigen Bestehen der Volksrepublik 2049 möchte China Technologieführer sein, vielleicht sogar der weltweite Technologieführer", prognostiziert Böing. "Die politischen Maßnahmen waren nicht immer effizient, aber sie waren zumeist effektiv."

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Wettbewerb wird vom Erfolgs- zum Risikofaktor für deutsche Industrie

Nach den ersten Wirtschaftsreformen Ende der 1970er-Jahre hatte Chinas Kommunistische Partei jahrzehntelang um die Ansiedlung ausländischer Industrieunternehmen geworben, die im Gegenzug Zwangspartnerschaften mit chinesischen Firmen eingehen mussten. Für die deutsche Industrie erwies sich das zunächst als Glücksfall, viele Jahre erhöhten sich Verkaufszahlen, Umsätze und Gewinne.

Die Pekinger Industriepolitik zielte jedoch nie darauf ab, ausländische Konzerne groß und stark zu machen. Beabsichtigt war von Beginn an "ziqiang": die "Selbststärkung". Eine ähnliche Strategie der Selbststärkung mithilfe ausländischer Technologie hatte es schon im 19. Jahrhundert gegeben, damals erfolglos. Im zweiten Anlauf ist die Aufholjagd nun geglückt. Ausländischen Manager:innen waren sich lange nicht bewusst, dass ihre Präsenz in der Volksrepublik für die chinesische Führung nur Mittel zum Zweck war.

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Das Reich der Mitte kämpft mit Schuldenproblemen

Der chinesische Erfolg fordert jedoch einen hohen Preis. Viele Firmen bauten auf Kredit große Überkapazitäten auf. Die Verschuldung des chinesischen Privatsektors - Haushalte sowie Unternehmen ohne die Finanzbranche - erreicht inzwischen astronomische Ausmaße und beläuft sich nach Zahlen des Internationalen Währungsfonds mittlerweile auf mehr als 300 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts, Tendenz steigend. Einige Ökonom:innen warnten schon vor einem Jahrzehnt, dass China eine große Finanzkrise bevorsteht.

"Typischerweise hat sich da die Strategie durchgesetzt, relativ lange auf Profite zu verzichten, ganz stark zu skalieren und zu versuchen, Wettbewerber einige Jahre lang in Schach zu halten und eines von den wenigen überlebenden Unternehmen zu sein", sagt Ökonom Böing. "Für einige Jahre ist das ein reines Verlustgeschäft und es geht nur um die Skalierung." Das bedeutet: Ein Unternehmen produziert umso kostengünstiger, je mehr Stückzahlen es fertigt. "Die Produktion kann häufig im chinesischen Binnenmarkt gar nicht absorbiert werden und geht dann halt in den Export."

Chinas Überkapazitäten für deutsche Firmen "extrem gefährlich"

Der riesige Heimatmarkt erweist sich dabei als Vorteil für chinesische Firmen. "Bei Windturbinen etwa können chinesische Wettbewerber aufgrund des extremen Zubaus im eigenen Markt sehr viel Know-how und technische Kompetenzen aufbauen", so BCG-Berater Burchardt. "In China entstehen in sehr vielen Technologien große neue Produktionskapazitäten, die die chinesischen Hersteller in extreme Preiskämpfe zwingen, sodass sie außerhalb Chinas neue Absatzmärkte finden müssen." Das sei für deutsche Unternehmen "extrem gefährlich".

In vielen Bereichen habe Deutschland zwar nach wie vor die technologisch führende Industrie, sagt Burchardt. "Sie sieht sich jetzt aber einem Wettbewerber gegenüber, der auch für viele moderne Technologien einen deutlich größeren Heimatmarkt hat, auf insgesamt niedrigerem Produktionskostenniveau produzieren kann und offensichtlich geringerem Kapitalmarkt- und Renditedruck ausgesetzt scheint."

Nicht zuletzt hänge die weitere Entwicklung vom weiteren Verlauf der von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelskonflikte ab, so Böing: "Prognosen abzugeben, ist wegen der schlagartigen Politikwechsel in den USA relativ schwer."

Eine dauerhafte Entspannung erwartet der Ökonom nicht: "Dahinter steht aus meiner Sicht der Systemwettbewerb zwischen China und dem Westen, insbesondere den USA." Über den Erfolg dieses Systemwettbewerbs werde der Technologiewettbewerb entscheiden, ist sich Böing sicher. "Die Zölle sind jetzt quasi eine Lupe, mit der wir uns das anschauen. Ich denke, dass es da in Zukunft immer wieder auch anders gelagerte Konfrontationen im Bereich des Handels, im Bereich des Innovationswettbewerbs geben wird."

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