Wirtschaftsforum in St. Petersburg
Putin zur Weltlage und den Kriegen in Nahost und der Ukraine - Hier im Livestream ansehen
- Aktualisiert: 20.06.2025
- 12:47 Uhr
- Christopher Schmitt
Sein Wirtschaftsminister erklärte, Russland habe "dem Empfinden nach eine Rezession". Nun tritt der Kremlchef selbst ans Mikrofon. Was sagt er zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten? Hier Wladimir Putins Rede im kostenlosen Joyn-Livestream verfolgen.
In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Das Defizit hat sogar Präsident Wladimir Putin bemerkt. "Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen", klagte der Kremlchef vor wenigen Wochen. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein.
Die Kartoffel-Knappheit ist Ausdruck einer hohen Inflation, der mit einem hohen Leitzins begegnet wird. Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow hat auf Wladimir Putins großer Schaubühne, dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg (SPIEF), ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft gewarnt: "Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession", sagte er.
Auskunft darüber, wie Putin selbst die wirtschaftliche Lage seines Landes, das nach wie vor einen Angriffskrieg in der Ukraine führt, beurteilt, könnte sein eigener Auftritt auf dem SPIEF geben. Auch seine politische Sicht auf die Weltlage - und wohl auch auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten - wird der russische Präsident erläutern. Am Freitag (20. Juni) um 12:50 Uhr soll Putin ans Mikrofon treten.
Sehen Sie hier ab 12:50 Uhr die Rede von Kremlchef Wladimir Putin im kostenlosen Joyn-Livestream.
Hohe Inflation drückt Lebensstandard der Russen
Die Preise für Kartoffeln in den russischen Geschäften sind durch die Decke gegangen. Innerhalb des letzten Jahres haben sie sich offiziellen Angaben nach fast verdreifacht, der Preis für Zwiebeln verdoppelt. Kohl kostet über 50 Prozent mehr als vor einem Jahr, hat die Statistikbehörde Rosstat ausgerechnet. Gefühlt ist der Anstieg noch höher.
Etwas mehr als einen Euro mussten die Russ:innen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Bei Durchschnittseinkommen von laut Rosstat knapp 1.000 Euro vor Steuern und bei Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die anziehenden Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Derzeit liegt die laut Wirtschaftsministerium bei 9,6 Prozent.
Die Zentralbank versucht, die Inflation mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen - derzeit sind es 20 Prozent. Das Kalkül dahinter: Wird es wegen der hohen Zinsen schwerer, Kredite aufzunehmen, sinkt die Geldmenge, die im Umlauf ist. Weniger Geld bedeutet weniger Nachfrage und sinkende Inflation.
Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen: Das derzeitige Zinsniveau demotiviere Unternehmer:innen zu investieren, sagte Reschetnikow. Im dritten und vierten Quartal könnten die Investitionen nach Schätzung des Ministers unter dem Vorjahresniveau liegen.
Zentralbankchefin: Ressourcen sind aufgebraucht
Zentralbankchefin Elvira Nabiullina wehrte sich gegen den Vorwurf einer falschen Geldpolitik, aber auch sie prognostizierte Schwierigkeiten. Russlands Wirtschaft sei zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung gewachsen - dank Geldern aus dem Wohlstandsfonds und bestehenden Kapitalreserven des Bankensystems. "Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken", sagte sie.
In der Tat hat sich die russische Wirtschaft nach dem von Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine erstaunlich gut gehalten - trotz der westlichen Strafmaßnahmen. In erster Linie ist dies auf eine rigorose Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion zurückzuführen. Der Putin-Vertraute Sergej Tschemesow, der die Rüstungsindustrie leitet, brüstete sich zuletzt mit einer Steigerung bei Munition und Waffen um das "Zigfache gegenüber 2021".
Rüstung boomt, viele zivile Sektoren kränkeln
Kritiker:innen bemängeln, dass die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Russland nicht das Potenzial der Wirtschaft widerspiegele, neue Waren für die Bürger:innen herzustellen - oder deren wachsenden Lebensstandard. Vielmehr zeige es nur an, dass die von Haushaltsgeldern finanzierte Rüstungswirtschaft immer mehr Drohnen, Raketen und Panzer produziere.
Zivile Sektoren hingegen kränkeln seit geraumer Zeit. Sie kämpfen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der sich durch die Sanktionen nur noch manifestiert. Der Bau- und Immobiliensektor etwa ist stark in der Krise. Auch der Autobau stockt, seitdem westliche Produzenten und Zulieferer Russland den Rücken zugewendet haben. China verkauft zwar vermehrt Autos in Russland, produziert aber vor Ort nicht selbst.
Stillstand bei Automobilen
Der zum Tschemesow-Imperium gehörende Lada-Produzent Avtovaz konnte die von westlichen Autobauern hinterlassene Lücke nicht füllen. Auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg stellte der Konzern zwar sein neuestes Modell, den Lada Azimut, vor, der ab kommendem Jahr in Serienproduktion gehen soll. Doch in den Lagern stapeln sich noch die Vorgängermodelle wegen fehlender Nachfrage.
Die Neuwagenkäufe sind in Russland nach einem Zwischenhoch 2024 erneut eingebrochen. In den ersten fünf Monaten wurden insgesamt nur rund 450.000 Fahrzeuge abgesetzt, ein Minus von 26 Prozent. Avtovaz prognostiziert auch für das Gesamtjahr einen Markteinbruch von 25 Prozent.
Krise auch beim Landmaschinenbauer Rostselmasch. Der Produzent von Mähdreschern und Traktoren hat gerade mehr als 15.000 Mitarbeiter:innen in Zwangsurlaub geschickt. Für die Belegschaft bedeutet das keine Erholung, sondern Stress; denn ob es danach weitergeht, ist unklar. Schon im März wurde Kurzarbeit in der Fabrik angesetzt, im April wurden 2.000 Arbeiter:innen entlassen.
Paradox: Auch Rostselmasch kann nicht vom weitgehenden Rückzug der westlichen Konkurrenz profitieren. Der Absatz bei Mähdreschern stockt: Dem Markteinbruch von 20 Prozent im vergangenen Jahr folgte ein Minus von 10 bis 15 Prozent in diesem Jahr bisher. Im Lager von Rostselmasch stauen sich 40 Prozent der Jahresproduktion. Den Bauern fehlt das Geld für neue Technik. Hohe Kreditzinsen und steigende Produktionskosten machen ihnen zu schaffen.
Bauern haben von Rekordernte nicht profitiert
Und das hat Auswirkungen auf die Ernte. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte Putin noch stolz von einer Rekordernte beim Getreide - 157 Millionen Tonnen -berichtet. In den vergangenen beiden Jahren sanken die Erträge jeweils.
Zwar hat der Kremlchef angeordnet, bis 2030 die Getreideernte auf 170 Millionen Tonnen und den Export auf 80 Millionen Tonnen hochzufahren. "Aber ausgehend von den jüngsten Tendenzen geht die Bewegung bei uns in die entgegengesetzte Richtung", warnte der für den Agrarsektor verantwortliche Vizepremier Dmitri Patruschew. Dies müsse schnell korrigiert werden.
Immerhin hofft die Regierung auf eine bessere Ernte als im Vorjahr. Die Kartoffeln sollen dabei schon ab kommender Woche gerodet werden. Durch das steigende Angebot könnten die Preise vorläufig wieder fallen.
Ansonsten muss Putin auf das Rezept seines langjährigen Verbündeten zurückgreifen, des als "Kartoffeldiktator" verschrienen Machthabers von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der hatte seinen Untertanen vor ein paar Tagen empfohlen, Kartoffeln nur noch ein- oder maximal zweimal pro Woche zu essen. Ansonsten würden sie zu dick, sagte Lukaschenko, der selbst nicht als Leichtgewicht gilt.