Positionspapier gegen Aufrüstung
"Rüstungsrausch": Stegner, Borjans und Mützenich verteidigen SPD-Manifest
- Veröffentlicht: 12.06.2025
- 09:15 Uhr
- Michael Reimers
Trotz heftiger Kritik aus der eigenen Partei halten SPD-Politiker an einem Positionspapier fest, das eine Abkehr von der derzeitigen Aufrüstungspolitik fordert.
Der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat einem Medienbericht zufolge vor einem "Rüstungsrausch" gewarnt und das von ihm und anderen, überwiegend linken Sozialdemokraten unterschriebene Friedensmanifest verteidigt. "So wünschenswert es wäre, einem Narzissten ohne jedes Entgegenkommen eine stabile Weltordnung abzuringen – es ist leider nicht nur in diesem Fall illusorisch. (...) Wir plädierten einfach nur für Gespräche mit Russland", sagte Walter-Borjans dem "Stern" am Donnerstag (12. Juni), wie die Nachrichtenagentur Reuters vorab meldet.
Demnach nannte er konkret den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. "Was Herr Kiesewetter da loslässt, könnte man mit dem ebenso hanebüchenen Vorwurf kontern, da wolle jemand Krieg. Abrüstung nach innen scheint mir fast ebenso wichtig wie nach außen." Es gehe nicht darum, eine Wahrheit gegen eine andere zu stellen, sondern es gehe um das Eingeständnis, dass ein Menschenverächter wie Putin nicht kaputtzurüsten sei.
In dem am Dienstag vorgelegten und am Mittwoch öffentlich bekannt gewordenen Manifest hatte eine Gruppe von SPD-Mitgliedern unter anderem neue Gespräche mit Russland sowie einen Stopp der Stationierung neuer US-Raketen gefordert. Gut zwei Wochen vor dem Bundesparteitag stellen sie sich damit gegen die offizielle Linie der SPD in der schwarz-roten Bundesregierung zum Ukraine-Krieg und der Verteidigungspolitik insgesamt.
Zu den Unterzeichnern gehören Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und der Außenpolitiker Ralf Stegner. Der Text rief heftige Reaktionen hervor, auch in der SPD selbst. Bis zum Mittwochabend bekundeten zugleich über die Website "openPetition" mehr als 2.000 Menschen ihre Unterstützung für das Manifest.
Unterzeichner verteidigen erneut ihre Positionen
Im Magazin "Cicero" sagte Ralf Stegner: "Über Waffen kann öffentlich jeder Trottel reden. Selbst jemand, der ein Gewehr nicht von einem Regenschirm unterscheiden kann. Aber die Diplomatie, die hinter verschlossenen Türen stattfindet, das ist die wirkliche Kunst". Das Manifest sei "keine Forderung an die Bundesregierung, sondern ein Diskussionspapier für die
Debatte in der Sozialdemokratie". Der Bundestagsabgeordnete Stegner war vor wenigen Wochen für eine Reise nach Baku in Aserbaidschan zu Gesprächen mit russischen Vertreter:innen kritisiert worden. Diese hätten auf privater Initiative beruht und seien "informell organisiert und finanziert", hatte Stegner entgegnet.
Auf "NDR Info" warnte der SPD-Außenpolitiker nun bei aller notwendigen, auch militärischen Unterstützung der Ukraine gegen die russische Invasion davor, "sich wechselseitig totzurüsten und damit die Kriegsgefahren auch zu erhöhen".
Rolf Mützenich wiederum gab dem Berliner "Tagesspiegel" ein Interview und sagte: "Unsere Überlegungen sollen eine breite, seit Jahren in der SPD und außerhalb geführte Diskussion ergänzen. Dass es vor dem Parteitag fertiggestellt wurde, hat auch damit zu tun, dass wir uns ein neues Grundsatzprogramm geben wollen."
Rehlinger grundsätzlich offen für Abrüstungsdebatte
Verständnis für die Initiative, aber nicht für deren Inhalt zeigte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD). Sie sagte im "Playbook-Podcast" von "Politico", sie teile die Vorschläge nicht, betonte jedoch: "Dass Ralf Stegner oder Rolf Mützenich diese Position vertreten, ist nicht wahnsinnig überraschend." Sie lehne zwar die Debatte darüber nicht ab, ergänzte aber: "Zusammenarbeit mit (Kremlchef Wladimir) Putins Russland, das glaube ich, ist nicht das, was die Situation gerade hergibt."
Juso-Chef Philipp Türmer äußerte sich ähnlich wie Rehlinger. Bei "Zeit Online" sagte er, er habe zwar Verständnis für das Ziel der Abrüstungs- und Friedenspolitik. "An anderer Stelle erscheint mir die Linie, die dort skizziert wird, leider zu kurz gedacht und unausgegoren – insbesondere mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Da bleibt das Papier eine zentrale Antwort schuldig: Wie geht man mit einem Russland um, das keine Gespräche führen will? Wie soll eine Entspannungspolitik mit Putin möglich sein?"
Klingbeil schweigt bisher, Pistorius wütet
Keinerlei Reaktion auf das Manifest gibt es bislang von Parteichef Lars Klingbeil und der designierten Co-Vorsitzenden Bärbel Bas. Hingegen kritisierte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der als einer der Urheber der aktuellen Sicherheitspolitik gilt, das Positionspapier: "Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden", sagte Pistorius der Deutschen Presse-Agentur.
Das Manifest kritisiert die vorherrschende Tendenz in Deutschland und anderen europäischen Staaten, die Zukunft in einer militärischen Konfrontationsstrategie zu suchen. Es warnt davor, dass "militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme" nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern vielmehr zur Destabilisierung und zur Verstärkung der Bedrohungswahrnehmung zwischen der NATO und Russland beitragen.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur Reuters
- Nachrichtenagentur dpa