Schiffsunglück
Ehemaliger Kapitän der "Bayesian" äußert sich zum Schiffsunglück vor Sizilien
- Aktualisiert: 29.08.2024
- 08:46 Uhr
- Lara Teichmanis
Fünf Jahre lang war er der Chef auf der "Bayesian", jetzt äußerte sich Stephen Edwards zu den Geschehnissen der verhängnisvollen Nacht vor Sizilien.
Eine Woche nach dem tragischen Schiffsunglück vor der Küste Siziliens gibt es immer noch keine eindeutige Antwort auf die Frage, warum das Schiff unterging.
Die Luxusjacht "Bayesian" war während eines Sturms innerhalb weniger Minuten gesunken. Sieben Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, darunter auch der britische Tech-Unternehmer Mike Lynch und seine 18-jährige Tochter Hannah.
Die italienische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen den Kapitän der "Bayesian", James Cutfield, wegen fahrlässiger Tötung und Schiffsbruch eingeleitet. Doch warum konnte die Mega-Jacht überhaupt so schnell sinken? War es menschliches Versagen oder ein technischer Fehler? Auf LinkedIn äußerte sich nun der ehemalige Kapitän des Schiffes.
Einordnung des ehemaligen Kapitäns
Edwards war von April 2015 bis Juni 2020 Kapitän der "Bayesian". Die genauen Geschehnisse in jener verhängnisvollen Nacht könnten nur diejenigen wissen, die sich an Bord befanden, erklärte Edwards. Weiter schrieb er, dass er keine wilden Spekulationen anstellen wolle, er könne jedoch einige Informationen über die Eigenschaften des Schiffs und mögliche Einschränkungen, die bei dieser Katastrophe eine Rolle gespielt haben könnten, liefern.
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Wie Edwards in seinem Posting erklärt, könnte der Mast eine wichtige Rolle bei dem Schiffsunglück gespielt haben. Es handelte sich um den höchsten jemals aus Aluminium gebauten Mast und habe "einen wesentlichen Bestandteil des Schiffs und strukturelle Herausforderungen in Konstruktion und Design" dargestellt, so Edwards.
War der Mega-Mast schuld?
Der ehemalige Kapitän erklärte weiter, dass die Grenze der Aluminium-Mastkonstruktion aufs Maximum ausgereizt worden sei. Daher habe man "im Laufe der Jahre einige Lehren" im Umgang mit dem Mega-Mast ziehen müssen. Dennoch betont er, dass es sich grundsätzlich um eine robuste und gut kontrollierte Konstruktion handle.
Das Schiff sei mit verschiedenen Segelplänen ausgeliefert worden, die für verschiedene Windstärken geeignet waren. Somit sei es möglich gewesen, die Jacht innerhalb der strukturellen Grenzen des Masts und der Neigungsgrenzen des Rumpfes zu segeln.
Laut Stephen Edwards hätten die Konstrukteure der Werft außerdem einen Ausgleich für den hohen Mast der "Bayesian" eingebaut. Dazu sei das Schiff mit zusätzlichen 30 Tonnen Bleiballast im Kielkasten ausgestattet. Edwards erklärt, dass dieser Bleiballast notwendig war, um das zusätzliche Gewicht und den höheren Segelaufwand aufgrund des extrem hohen Masts auszugleichen.
Neben diesem Ausgleichsgewicht sei auch ein beweglicher Kiel von etwa 60 Tonnen verbaut worden. "Diese Anordnung bedeutet, dass der Großteil des aufrichtenden Moments des Schiffs vom Hauptballast stammt [...]. Der bewegliche Kiel fungiert eher wie ein Schwert, um ein seitliches Abdriften unter Segel zu reduzieren (Luvgierigkeit)", erklärt Edwards auf LinkedIn.
Das Stabilitätsinformationsbuch der "Bayesian"
Neben den Segelplänen sei ein Stabilitätsinformationsbuch mitgeliefert worden, erklärte der ehemalige Kapitän. Diese Dokumente definierten die Beladungs- und Betriebsgrenzen des Schiffs. Weiter enthalte es Informationen über die auf- und ausrichtenden Eigenschaften der Jacht.
Vor der ersten Fahrt würden diese von dem Land, unter dessen Flagge das Schiff fahre, genehmigt. Nach der Genehmigung der Behörden unterliege es in der Verantwortung des Kapitäns, die definierten Betriebsgrenzen jederzeit einzuhalten, so Edwards.
Ein wichtiger Teil dieses Stabilitätsinformationsbuches sei die Rolle des beweglichen Kiels. Beispielsweise sei darin beschrieben, wie und wann der bewegliche Kiel einzusetzen sei. Wie Edwards in seinem Statement erklärt, müsse beim Segeln der bewegliche Kiel immer abgesenkt sein. Gleiches würde bei einer Distanz des Schiffes von mehr als 60 Seemeilen von der Küste, unabhängig des Antriebes (Segeln oder mit Motorantrieb), gelten. Das beschriebene Stabilitätsinformationsbuch solle auch Informationen über wichtige Winkel enthalten haben.
Besonders relevant für die Stabilität eines Schiffes: der "Downflooding Angle". Das ist der Winkel, "bei dem Wasser üblicherweise über die Schiffswand (normalerweise durch den Maschinenraum oder die Belüftungsschächte im Wohnbereich) eindringt", erklärt der Experte. Wenn ein Schiff in diesen "Downflooding Angle" käme oder ihn überschreite, sei "das Schiff in ernsthaften Schwierigkeiten", so Edwards. Durch das eindringende Wasser werde die Stabilität des Schiffes gefährdet, oder gehe sogar ganz verloren.
So könnte Wasser eingedrungen sein
Eine weitere wichtige Rolle für die Stabilität eines Schiffes spielten die Lüftungsklappen. Grund dafür sei, dass bei geöffneten Lüftungsklappen ein Schiff besonders schnell volllaufen würde, wenn der "Downflooding Angle" erreicht sei. Lüftungsklappen seien insbesondere dann geöffnet, wenn Heiz- und Klimasysteme wie Generatoren an Bord betrieben werden.
Wie der "Spiegel" schreibt, könnten die Systeme (Klimaanlagen etc.) aufgrund der vollen Besetzung der "Bayesian" gelaufen sein. Dementsprechend könnten die Lüftungsklappe bei Eintreten des "Downflooding Angle" während des Sturms vor Sizilien geöffnet gewesen sein.
Könnte Wasser über andere Schiffsöffnungen in die Kabinen geflossen sein? "Andere Decköffnungen oder Überbauöffnungen [...] befinden sich auf oder nahe der Mittellinie des Schiffs", so Edwards. Das Eindringen von weiterem Wasser in die "Bayesian" sei nur möglich, wenn das Schiff stark über den "Downflooding"-Winkel hinaus geneigt wäre und bereits über Lüftungsschächte geflutet würde.
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Ermittlungen gestartet
Abschließend erklärt Edwards, dass die "Bayesian" ein "solides und seetüchtig konstruiertes" Schiff gewesen sei. Laut dem ehemaligen Seefahrer sei ein Kontrollverlust durch Überfluten für das Sinken der Luxusjacht verantwortlich. Eine fehlerhafte Wartung sei ihm nicht bekannt.
Zu Anschuldigungen gegen die Crew der Luxusjacht erklärte Edwards, dass die Wetterbedingungen auch für erfahrene Seefahrer herausfordernd seien. Häufig träten diese Extreme kurzfristig und ohne lange Vorlaufzeit auf, daher sei es schwer für die Besatzung, adäquat zu reagieren.
Warum die "Bayesian" dennoch vor der Küste Sizilien sank, untersuchen nun die italienischen Behörden. Ermittlungen gegen den neuseeländischen Kapitän James Cutfield wegen fahrlässiger Tötung und Schiffbruch wurden eingeleitet.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Spiegel: "Das sagt der frühere Kapitän der "Bayesian"