Kolumne
Happy Birthday, USA! Zusammen, zerrissen, zerrieben?
- Veröffentlicht: 05.07.2023
- 12:13 Uhr
- Elena-Marie Storm
Der Unabhängigkeitstag ist für US-Amerikanerinnen und Amerikaner eine Mischung aus gigantischem Volksfest, ausschweifender Grillparty und Flaggeneid. Kein anderer Tag soll so für Einheit stehen, für die "One Nation under God".
Big Business mit dem Independence Day
Der 4. Juli ist in den Vereinigten Staaten ein nahezu heiliger Feiertag. Die ohnehin hohe Nationalflaggendichte in der Hauptstadt der USA steigt exponentiell, die anlässlich des im Vormonat zelebrierten "Pride Month" gehissten bunten LGBTQ-Fähnchen und Fensterbilder weichen den Stars & Stripes an Häuserwänden, in Blumenbeeten und Schaufenstern. Der Einzel- und Onlinehandel verzeichnet wie jedes Jahr einen stark steigenden Umsatz an T-Shirts, Tassen und Torten mit der Nationalflagge. Man ist stolzer US-Amerikaner und vor allem ist man nie so sehr stolzer US-Amerikaner wie am 4. Juli eines jeden Jahres. So könnte man zumindest meinen.
Geburtsstunde
Der 4. Juli 1776 markiert eine Zeitenwende in der vergleichsweise kurzen Geschichte der durch Pilger:innen aus aller Herren Länder besiedelten "Neuen Welt" auf dem nordamerikanischen Kontinent: die Vertreter der 13 britischen Kolonien sagen sich von Großbritannien in der "Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika" los - der Akt einer Staatsgründung. Bis heute gilt die "Declaration of Independence" als wirkungsmächtiges Dokument der demokratischen Staatsphilosophie.
Vaterlandsliebe und Feuerwerk
4. Juli 2023: In Washington, D.C. brennt die Luft. Vor Hitze. Vor Freude. Den Auftakt der Festlichkeiten bildet die "National Independence Day Parade" auf der Constitution Avenue. Bereits am Mittag versammeln sich hunderte Feiernde rund um die sogenannte National Mall zwischen Kongress und Lincoln Denkmal. Die weiten, grünen Rasenflächen füllen sich rasch. Feierstimmung. Aus allen Himmelsrichtungen ertönt Gelächter, die Musik dröhnt aus den Bluetooth-Boxen. Ein bisschen Woodstock. Nur mit weniger Peace, denke ich mir.
Im Video: Amerika feiert Unabhängigkeit
Amerika feiert Unabhängigkeit
Einig uneins
Denn hinter der überschwänglichen Feierfassade bröckelt es an vielen Stellen. "United"- "Vereinigt", der augenscheinlich größte gemeinsame Nenner der US-Amerikaner ist im Vorwahljahr der nächsten US-Präsidentschaft ein wenig zutreffendes Attribut. Das Trauma des Sturmes auf das Kapitol im Januar 2021 ist lange nicht verwunden. Die politischen und gesellschaftlichen Lager sind tief gespalten. Es gibt so vieles, worüber es sich leidenschaftlich zu streiten lohnt: den nächsten Präsidenten, Klimapolitik, die Frage nach Inklusion, den Kurs in der Migrationspolitik, den Umgang mit Schusswaffen und den bedrohlichen Fentanylmissbrauch. Ich unterhalte mich mit der 63-jährigen Judith aus Philadelphia: "Es geht vielen Amerikanern so wie mir, wir wissen nicht mehr, was wir tun oder glauben sollen. Die Republikaner unter DeSantis oder Trump? No way! Aber die, die jetzt im Weißen Haus sitzen, sind auch unbrauchbar. Ich gehe nächstes Jahr wahrscheinlich erst gar nicht wählen."
Friede, Freude, Pancakes
Zugegebenermaßen eine der wenigen kritischen Stimmen, die ich heute vernehme. Im Laufe des Tages wird mir eines bewusst: Über Politik möchte heute fast niemand sprechen. Was die Politiker im Weißen Haus oder sonst wo machen, sei heute uninteressant, heißt es immer wieder. Heute ginge es um die hart erkämpfte Unabhängigkeit und Freiheit der Nation, außerdem um das gesellige Zusammensein mit Familie und Freunden. Unter dem Eindruck der "USA! USA!"-Sprechgesänge und ein bisschen taub auf dem linken Ohr von dem gewaltigen Feuerwerk, mache ich mich gemeinsam mit Tausenden beseelten Feiernden auf den Heimweg. Morgen ist ein neuer Tag. Heute ist Freiheit.